Eine Sammlung zum Thema Zahlen von Dr. Michael Stelzner

729 - die Spannweite der Glückseligkeit oder Glückseligkeit durch Gerechtigkeit (Platon)

(729 Aufsatz Glückseligkeit.docx)

Nach Platon ist die Gerechtigkeit kein „fremdes Gut“ sondern dem Subjekt zugehörig und dessen ausdrücklicher Nutzen. Gerechtigkeit ist „herrlicher als Geld“; nichts bringt „mehr Gewinn als die Gerechtigkeit“, so Platon. Für ihn ist die Gerechtigkeit ein Schlüssel zur Glückseligkeit. Die Gerechtigkeit ist dem Subjekt zuzuordnen, also der Fünfzahl. Welchem Archetyp die Glückseligkeit entspricht und durch welches geometrische Muster sie nachvollziehbar wird, das wird u.a. dadurch einsichtig, dass Platon sogar den Glücksfaktor nennt, um den der Nutzen eines Gerechten größer sei als der eines Ungerechten. Platon ermittelt den Faktor in einer symbolischen Rechnung und kommt auf eine ganz konkrete Zahl, die Zahl 729.[i]

Die Rechnung ist natürlich nicht linear arithmetisch zu verstehen, „wie bei Kaufleuten und Krämern“ sondern als ein Gleichnis. Das machen die Worte Platons deutlich, bevor er die Zahl entwickelt: „ … und auf eine wie viel niedere Stufe er (Anmerkung: er, der Tyrann) sich dabei stellt, ist überhaupt gar nicht leicht zu sagen, außer vielleicht auf folgende Weise.“[ii]  Das Wesentliche der Zahlen Platons ist stets das hinter ihnen stehende Archetypische. Hier ist es, wie sich zeigen wird, die Qualität der Zahl Drei und ihre konkrete Ausformung in dem speziellen pythagoreischen Dreieck, in dem die Zahlen 1-2-3-4-5-6 vorkommen. In ihm erkennt Platon die Voraussetzung eines glückseligen Subjekts (5).

Das besondere, pythagoreische Dreieck, das von den Zahlen 1 2 3 4 5 6 geprägt wird.

Den Zusammenhang von Zahl, Inhalt und geometrischen Muster leitet Platon aus der Dreizahl ab. So wie die Dreizahl ihrem Wesen nach zwei von einander unterschiedene Qualitäten miteinander verbindet, so erfüllt auch die Gerechtigkeit Zweierlei. Sie ist ein Gut, das sowohl seiner Selbst willen geschätzt wird als auch für die Folgen, welche sie dem zeitigt, der sie begehrt. Das seiner-Selbst-willen und der ganz konkrete Vorteil für den, der sie begehrt oder besitzt, unterscheiden sich zunächst und erzeugen einen Spannungsbogen. Im Falle der Gerechtigkeit werden beide Aspekte jedoch unter dem pythagoreischen Muster zugleich zu einer Einheit und Ganzheit.

Das Erstere, das seiner-Selbst-willen, entspricht der Bewegung an sich, dem höchsten Wirkprinzip, das vom Archetyp der Dreizahl ausgedrückt wird. Das Zweite, der ganz konkrete Vorteil, entspricht der greifbaren Manifestation, wie sie der Archetyp der Vierzahl verkörpert. Wenn das Prinzipielle und Geistige (3) mit dem Greifbaren und Konkreten (4) in eine rechte (rechtwinklige) Verbindung zueinander gebracht werden, dann entsteht das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3, 4 und 5. Es zeigt den Übergang der Liniengrößen 3, 4 und 5 in die Flächengröße 6, also den Übergang von einer niederen Dimension in eine höhere. Der Archetyp 6 besteht seiner Natur nach aus einer zweifachen Funktion , der Vergeistigung der Materie (Δ) und der Materialisation des Geistes (∇). Diese zweifache Verbindung des Geistigen (3) mit dem Körperlichen (4) wird als Glückseligkeit empfunden. Ihr Ursprung ist die Einheit. Ihr geometrisches Gleichnis ist der vom Dreieck 3-4-5-6 umschlossene Kreis des Radius 1. Er steht für die ursprüngliche Funktion und Bewegung, die nicht nur die Aufspaltung verursacht, sondern deren Teile, die Geradlinigkeit und Endlichkeit einerseits mit der Krummlinigkeit und Unendlichkeit andererseits zugleich auch wieder zu einem Höherdimensionalen, den Kreis verbindet. Solches Sein in solcher Funktion ist auf sich selbst gerichtet, genügt und erfüllt sich selbst. Das ist der geometrische Hintergrund vor dem Platon die Zahl 729 als den symbolischen Faktor für die höchste Glückseligkeit nennt.

729  =  (3×3)3  =  36   =   {[(31)]2}3        ***[iii]

Die wahrhaftige Drei richtet sich auf sich selbst und wird zu ihrem Quadrat (3×3). Sie erfüllt sich sodann in einem dritten Schritt. In ihm überschreitet sie entsprechend ihrer Qualität die Ebene der Linearität durch die Dreimaligkeit (hoch 3) des Produkts 3×3. Das arithmetische Resultat ist 729. Inhaltlich und symbolisch ist es zweierlei. Es ist selbstredend eine Erscheinung der Dreizahl und es ist vor allem aber zugleich ihre sichtbar werdende höhere Dimension. Sie entsteht, indem der Archetyp 3 durch den Archetyp 6 potenziert wird (36).

Gerechtigkeit und Glückseligkeit gehören dem Subjekt an. Sie sind sein Gut und sie konstituieren sich gegenseitig. Diese besondere Bedeutung des Subjekts besteht in seiner Fähigkeit, das Geistige und das Materielle ins rechte Verhältnis zueinander zu setzen. Daraus schließt Platon auf den Unterschied des rein sinnlichen Vergnügens gegenüber dem höchsten Vergnügen der Weisen und Tugendhaften. Vor dem Hintergrund des o.g. pythagoreischen Dreiecks und der von ihm in diesem Zusammenhang genannten Zahl 729 wird die Argumentation Platons deutlich.

Nachtrag:

Platon geht es um das ganz Grundsätzliche. So beschreibt er in seiner Verhältnisbestimmung von Gerechtigkeit und Glückseligkeit auch „nur“ deren grundsätzliches Verhältnis, also deren archetypische Verbindung. Die aber besagt noch nichts Konkretes über das von einzelnen Subjekten empfundene Glück bezüglich ihrer sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Diesen konkreten und subjektiven Situationen wendet sich später sein Schüler Aristoteles zu. Der zeigt, dass sie konträr zu den von Platon beschriebenen großen Zusammenhängen wahrgenommen werden können und deshalb weiterreichender Differenzierungen bedürfen.

Da die Philosophien Platons und Aristoteles auf abgestuften Wahrheiten basieren, wie sie die Archetypenlehre vermittelt, weisen sie in ihren Schlussfolgerungen auch beträchtliche Unterschiede auf. Um die rechte Lesart ihrer Schriften zu finden, muss man ihre gemeinsame Grundlage kennen. Sie besteht im Wesentlichen aus dem Wissen um die Archetypen, insbesondere um das der Triade.

(Beachte auch den ergänzenden Aufsatz:   Platon versus  Aristoteles.docx  )

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[i] Platon. Politeia. Buch I. 343c/d. In: König, Burghard (Hrsg.). Platon. Sämtliche Werke. Band 2. Rowohlt Taschenbuchverlag. Hamburg 2004.  587e / S. 500.

[ii] Platon. Politeia. Buch 9. Sämtliche Werke. Band 5. Felix Meiner Verlag. Hamburg 1993.  587e / S. 381.

[iii] Die Darstellung soll den in der Potenz 6 liegenden „Selbstbezug der Drei“ deutlich machen. Andere Darstellungen der Zahl 729, wie beispielsweise  = 93 = 272 = 36, lassen diesen weniger gut erkennen.

Übrigens: Philolaos, ein Zeitgenosse Platons definierte ein Großjahr, das sogenannte „philolaische Jahr“ mit 729 Mondmonaten. Er sah offenbar im Selbstbezug der Drei in dieser Form die von der Natur vorgegebene Form der Unterscheidung von Dimensionen.