Eine Sammlung zum Thema Zahlen von Dr. Michael Stelzner

Vom Neunersystem - der heiligen Ordnung der Zahlen - zum Dezimalsystem

(Zahlensysteme Aufsatz.docx)

Inhalt:

((1))     Die Frage nach dem Zahlensystem –  eine sekundäre Frage

((2))     Die zwei Zählweisen, das 9er und das 10er-System

und ihr Umgang mit dem Jenseitigen (Der „Zaunpfahlfehler“)

((3))     Das System der Neun – die wertende, heilige Ordnung der Zahlen       

((4))     Zusammenfassung

((1))  Die Frage nach dem Zahlensystem –  eine sekundäre Frage

Das Wesen einer Wissenschaft ist das Erkennen von Mustern und Strukturen. Die dazu verwendeten Methoden und Systeme sind vielfältig. Am Ende aber laufen alle auf das Wesen der Zahl zu. Keine Wissenschaft kommt ohne die Zahl aus (s. Aufsatz „Warum die Zahlen zählen“). Doch schon die Annahme, die Zahlen könnten archetypische Funktionen erfüllen, erhebt die Frage nach den unterschiedlichen Zählsystemen und damit den Zweifel, ob einer Zahl ein fester Charakter zugeordnet werden kann?

In unterschiedlichen Zählsystemen nehmen Zahlen auch sichtbar andere Positionen ein und vertreten andere Funktionen. Das verändert den Charakter des jeweiligen Archetyps. Daraus aber zu schließen, ein Archetyp würde sich verändern, ist inkonsequent und nicht schlüssig, denn mit der Veränderung der Position verändert sich zwar auch der zu betrachtende Archetyp, doch handelt es sich dabei sodann jeweils um einen anderen Archetyp und nicht mehr den gleichen. Am Ende erklärt sich jedes Zählsystem über die Triade. Sie unterhält alle Existenzen und sie hat in allen Systemen Relevanz. Nur die Erscheinungen der Triade unterscheiden sich. Kein Zählsystem kann die Triade hintergehen. Das gilt auch für das Binärsystem, das durch die Dualität von „Ja“ (1) oder „Nein“ (2) geprägt wird. Auch das Binärsystem bedarf eines Dritten, auf das sich die zwei Wahlmöglichkeiten beziehen. Das ist der Fluss (3)! Das Binärsystem berichtet, ob ein Fluss (3) vorhanden ist (1) oder eben nicht (2). Der Fluss ist das primär Wirkende. Sein Bejahen oder Verneinen ist sekundärer Art, auch wenn es für das unterschiedliche Erscheinen vor unserem Auge verantwortlich ist.

Obwohl es die verschiedensten Zählsysteme gibt, ist immer die Zahl die Determinante. Das führt zur Frage nach dem Wesen der Zahlen und schließlich zur Frage nach ihrer Rolle im Weltverständnis. Offensichtlich ist die Zahl seine letzte und grundsätzliche Größe (siehe Aufsatz „Warum Zahlen zählen“ (Link setzen). Sobald wir die Zahlen als Eckpfeiler unseres Verstehens erkennen, entsteht die Frage, worin Qualität der einzelnen Zahl besteht?

Vorwegnehmend kann man sagen, dass jede Zahl zweierlei kann. Sie hat eine einmalige, in der Form nur ihr zukommende Qualität und steht dennoch mit der Vielzahl aller anderen in einer definierten Beziehung, sodass man von der einen auf die anderen schließen kann. Sie ist das Ur-Beispiel der Einheit in der Vielheit, der letzten und höchsten Formel.

Kurz gesagt: Die Zahlen repräsentieren Archetypen und haben als solche ein duales Wesen. Als Archetypen vertreten sie die Einheit und Ganzheit und sind doch selbst in ihrem Dasein maximal reduziert. Als Spiegel der Ganzheit müssen sie, wie diese, alles einschließen. Das macht sie zum Paradoxon. Was sie in ihrer spezifischen Qualität zum Ausdruck bringen, darf nichts, nicht einmal das Andere und Jenseitige, auch nicht die zu ihr polare Qualität ausschließen. Was das für ihre Phänomenologie bedeutet, das soll der nachfolgende Vergleich zweier Zahlenordnungen zeigen.

Die eine ist die profane Zahlenordnung, wie wir sie in Form des 10er-Systems täglich gebrauchen. Die andere ist die heilige Zahlordnung des 9er-Systems, auf der die hebräische Schrift aufbaut und über die sich das Wesen von Philosophie und Religion erschließt.

((2))  Die zwei Zählweisen, das 9er und das 10er-System

         und ihr Umgang mit dem Jenseitigen

Die Zwei Zählweisen illustrieren vor allem zwei formal voneinander unterschiedene Umgänge mit dem Anderen und Jenseitigem. Wer das Andere, das es den Gesetzen der Polarität zufolge noch jenseits der Welt geben muss, erkennen will, der kann das nur im Rahmen dessen, was seine Existenzbedingungen zulassen. Das geistig zu Erschließende muss in seiner Welt, seiner Sprache und seinen Bildern einen Platz finden. Das bedeutet, dass das Jenseitige, das eigentlich nicht rational zu Erfassende – die Ganzheit als Hintergrund – dennoch auf eine rationale Weise erschlossen wird. Wir reden von einer Grenzsituation, die ähnlich einer Tür sowohl aus- als auch einschließt. An jener Grenze begegnen sich das Rationale und das Irrationale.

Wie in diesem Sinne das Jenseitige, das „über-die-Welt-Hinausragende“ zu verstehen ist, das vermittelt der Archetyp der 7, wie ihn die jüdische Tradition in ihrem 7er-System vorgestellt. Wenn wir seine Wirkung auf das Gegenwärtige, das durch die Archetypen 1 bis 6 beschrieben wird, verstehen, lernen wir jeden Übergang von einem Zählsystem zu einem anderen zu verstehen. Die tradierten Weisheiten besagen, dass das „Darüber-Hinaus-Ragende“ weder Zufall noch Willkür ist, sondern von den Grenzen des existierenden Subjekts definiert wird.

In der Zahlenordnung der Zahlen der Genesis liegt die besagte Grenze der Daseins-Ebenen zwischen der Sechszahl und der Siebenzahl. In einem durch Selbstbezug (in der Welt der Polarität ist ihr Symbol das Quadrat) konsequent abgeschlossenen System der Triade, wie es die Abb. (Flussform der Zahlen) zeigt, liegt diese Grenze sodann hinter der Neun (9 = 32). Der Archetyp der Zehn gehört, wie einst die Sieben im Siebener-System zunächst nicht mehr hinzu, denn er liegt bereits jenseits der Grenze. Die 10 ist jetzt das „Darüber-Hinaus-Ragende“ und „Jenseitige“. Sie symbolisiert Einheit und Ganzheit und schließt deshalb alles ihr Vorangehende in sich ein.

Vergleicht man zwei einander folgende Zahlensysteme, wie das 9er und das 10er-System miteinander, so entsteht das höhere System durch eine Dehnung. Im niederen System finden die begrenzenden Endpunkte (unterhalb von 1 und oberhalb von 9) wenig oder keine Beachtung. Mit der Dehnung alias Bewusstseinserweiterung erscheinen sie jetzt als „begrenzende Pfosten“ und werden vom neuen, erweiterten System integriert. Die Null und die Zehn werden zum Bestand des Zehnersystems. Dabei wird der Wert der Null in aller Regel nur „nach oben hin“ – in Form der Zehn – wahrgenommen. Der gleichzeitige Aus- und Einschluss der Null ist der Preis der Polarität.

Das neue Zählsystem erfordert Achtsamkeit, denn es bringt eine Gefahr mit sich, die in anderen Fachgebieten unter dem Begriff „Zaunpfahlfehler“ bekannt ist. Die Gefahr ist der (nur) linearlogischen Betrachtung geschuldet, wie sie beim Rechen und Zählen vorliegt.

Der Zaunpfahlfehler entsteht bei der Berechnung (Abzählen) eines aus Pfählen und Zwischenfeldern bestehenden (nicht ringförmig angeordneten) Zauns durch die fehlende Unterscheidung der Anzahl der Objekte und der Anzahl der Zwischenräume. Zählt man die Zwischenfelder, so zählt man in Wirklichkeit die Anzahl von Differenzen und Beziehungen. Da jedes Dasein generell durch eine Beziehung zustande kommt und so immer ein In-Beziehung-Sein ist, gilt das auch für den Rahmen des Zählens selbst, der das Zählen und Unterteilen erst möglich macht. Der Rahmen sind die „Pfeiler“.

Zählen und Berechnen geschieht immer innerhalb einer bestehenden Linearität und die führt früher oder später zu dem Zaunpfahlfehler. Anders verhält es sich, wenn man beim Zählen und Berechnen aufmerksam die Ganzheit im Blick hat. Das ist beim Zählen der Zaunzwischenräume eines ringförmigen Zauns der Fall. Bei ihm fallen die grundlegenden Pole „Anfang und Ende“ (oder auch Null und Unendlich) zusammen. Sie stehen für die zwei Aspekte der Einheit und Ganzheit. Beim Anblick des Kreises erfasst das Bewusstsein sowohl das Ganze, das Teilhaftige und deren Zusammenwirken.

Das Bild vom Zaunpfahlfehler hilft uns, die Beziehung zwischen dem Neunersystems, das in der Flussform der Zahlen sichtbar wird und dem Zehnersystem, mit dem wir alltäglich umgehen, zu erfassen. Das Zehnersystem zählt die Pfeiler und schließt damit das Höhere, die Zehn als ein Da-Seiendes ein. Es reduziert das an sich höhere, abstrakte Sein und zieht es in die Linearität herunter. Das Zehnersystem „verdinglicht“ das abstrakte Sein und manifestiert damit einen „Fehler“ im Sinne des „verfehlten Bewusstseins“ über das Wesen der Einheit und Ganzheit. Das geschieht bei jedem linearlogischen Vorgehen und wir handeln im Profanen vorwiegend linearlogisch.

Mit dieser Kenntnis müssen wir auf die profane (10er) und die heilige (9er) Zahlenordnung schauen. Sie geben ihr Geheimnis jedoch nur preis, wenn man die Qualitäten der Zahlen 1 bis 9 bereits kennt.

((3))  Das System der Neun – die wertende, heilige Ordnung der Zahlen

Wir wissen, dass die Ordnung des hebräischen Alphabets nicht nur den Zahlen folgt, sondern dass sie deren Qualitäten auch in den Buchstaben versinnbildlicht. Jeder Buchstabe hat einen Wert, der einem Inhalt und einer Zahl entspricht. Bis einschließlich der Zahl 10 sind der numerische Wert und der ihr zugeordnete Zahlenwert identisch. Das ändert sich mit der zweiten Dimension (10-90). Mit ihr wird zwischen den „gezählten“ Buchstaben und den ihnen zugeordneten Zahlenwerten unterschieden. Die zweite Dimension lässt mit ihren vom Zählen abweichenden Zahlenwerten die bis dahin verborgenen, gleichwohl schon immer vorhandenen inhaltlichen Werte ins Bewusstsein treten!

Abb. 30-40-50 Die heilige Ordnung der Zahlen und ihre Basis 3 bzw. 9 (3 hoch 3)

Die heilige Ordnung der Zahlen macht insbesondere über ihre zweite Dimension (10-90) deutlich, dass es nicht nur ums Zählen sondern um Werte geht. Die neuen, vom profanen Zählen abweichenden Zahlenwerte überwachsen das zählende Element der ersten Dimension, obgleich ihr Prinzip weiterwirkt, denn auch die Buchstaben der zweiten Dimension folgen noch immer auch der Linearität des Zahlenstrahls.

Der ersten Dimension fehlte scheinbar etwas. Diesem scheinbaren (Ver)Fehlen treten in der zweiten Dimension Werte hinzu. Die dritte Dimension (100-400) wiederum verbindet beide. Sie berichtet von einem letzten zusammenfassenden Wert. Der besteht aus vier Zahlen. Die letzte von ihnen ist die zweifach erhöhte Vierzahl (400), die für alles nach ihr Kommende inhaltlich und formal steht.

Die drei Dimensionen, auf die sich die 22 fortlaufenden Buchstaben der hebräischen Schrift verteilen, berichten nicht nur von den zählenden Eigenschaften der Zahlen, sondern erzählen in jeder höheren Dimension auch von höheren (Sinn)Werten. Dabei geht es immer um die in allen Werten durchscheinende Einheit in der Vielheit.

Das Mittel der Quersummenbildung (auch als theosophische Addition bekannt) hilft die Einheit auch über die Dimensionen hinweg zu erfassen. Die Quersumme macht die in der einfachen und begrenzten Zahlenreihe nicht unmittelbar sichtbaren inhaltlichen Zusammenhänge erkennbar.

Das Verfahren wird im Profanen wie im Heiligen geschätzt. Die linear agierende Mathematik nutzt die Quersumme beispielsweise in Form der schnellen Teilbarkeitsregel für die Zahlen 3 und 9. Der auf die Zahlenqualitäten orientierte Umgang findet in ihr ein Mittel, um alle Zahlen über Neun auf eine der Grundqualitäten von Eins bis Neun zurückzuführen. Die Zusammenhänge sind leicht ersichtlich, denn im Neunersystem sind alle Zahlen einer Senkrechten über die gleiche Quersumme verbunden. Auch diese Sekundärstruktur offenbart Einheit in der Vielheit. Ihr Geheimnis liegt in der Triade.

Das 9er-System trennt deutlich das Diesseitige vom Jenseitigen und fördert dabei über das notwendig entstehende Dritte die Herausbildung des Bewusstseins. Es hat seine Aufgabe erfüllt, wenn das Wesen der Vier, alias der Logos das Bewusstsein erreicht und das Subjekt als Individuum (das Ungeteilte) „durch das Kreuz hindurch“ die Einheit offenbart. Die Religionen und Mythen des Abendlandes beschreiben solche erlösten Bewusstseinszustände, an herausragenden Figuren, wie Henoch, Moses oder Christus. Ihr gemeinsames Merkmal ist die Überwindung des Prinzips des Grabes.

((4))  Zusammenfassung

Die Ordnung der Neun lässt die tiefe Bedeutung des Dezimalsystems erst verstehen. Was sich in neun Archetypen dem Bewusstsein kundtut, das findet in der Gestalt der 10 zur Manifestation. Der Ursprung der neun Archetypen ist die Triade. Sie bringt die Neun durch ihren Selbstbezug hervor (32). Am Ende geht es um nichts anderes als um das Erkennen des wahren Wesens der Einheit, der Polarität und der wahrhaftigen Funktion. Das meint Platon, wenn er in der Mitte seines Hauptwerkes, der Politeia schreibt:

„ … was allen Künsten und Forschungen und Wissenschaften unentbehrlich ist, und was denn jeder mit als Erstes erlernen muss. Diese ganz bescheidene Weisheit: die richtige Kenntnis der Eins, der Zwei und der Drei.“[1]  Dass unter der »richtigen« Kenntnis nicht nur eine quantitative sondern vor allem auch eine der übergeordneten Idee zugehörige qualitative Schau zu verstehen ist, die sowohl dem Kriegsmann wie dem Philosophen dient, das stellt Platon klar und deutlich heraus: „Es obliegt uns also dies Fach (Zahlenkunst) zum gesetzlichen Lehrfach zu machen und diejenigen, die künftig im Staate der höchsten Amtsgewalt teilhaftig sein sollen, zu veranlassen sich der Zahlenkunst zuzuwenden und sich mit ihr zu befassen nicht etwa bloß in laienhafter Weise, sondern bis sie durch reine Vernunfttätigkeit zur Anschauung der wahren Natur der Zahlen gelangt sind, eine Art der Behandlung, die nichts gemein hat mit Kaufen und Verkaufen wie bei Kaufleuten und Krämern…“.  Für Platon war jenes Lehrfach ein „besonders feines Fach“, weil es, wie er es ausdrückte,  „die Seele offenbar nötigt auf dem Wege des reinen Denkens sich der reinen Wahrheit zu nähern.“[2]

[1] Plato, Sämtliche Dialoge, Band IV, Der Staat, übers. und hrsg. von Otto Apelt, Felix Meiner Verlag, Leipzig 1923, Siebtes Buch, 522 St.

[2] Plato, Sämtliche Dialoge, Band IV, Der Staat, übers. und hrsg. von Otto Apelt, Felix Meiner Verlag, Leipzig 1923, Siebtes Buch, 525St.