Eine Sammlung zum Thema Zahlen von Dr. Michael Stelzner

Goethes Faust und seine dreigliedrige Einleitung

(Faust 3 Einleitungen.docx)

Goethe stellt seinem Faust gleich drei Einleitungen voran, die „Zueignung“, das „Vorspiel“ und den „Prolog im Himmel“. Alle drei Einleitungen gehören zusammen und bilden eine Einheit. Sie sprechen von ein und dergleichen Urbeziehung. Nur beleuchten die drei Einleitungen diese von drei unterschiedlichen Seiten,

 

(1) der höchst persönlichen und verbindlichen „Zuneigung“, 

(2) dem den öffentlichen Raum zuzurechnenden Theatergeschehen als „Vorspiel

(3) und dem „Prolog im Himmel“, dem über allen waltenden Gottheiten.

 

 

(1)  Die »Zueignung« ist ein Gedicht, eine aus 4 Strophen bestehende Elegie. Die Elegie ist eine „schöne Klage“ (s. Zahl 11)[i]. Goethe hat als Versmaß die Form der Stanze gewählt, was soviel wie „Raum“ bedeutet und ein Reim aus acht  elfsilbrigen Verszeilen ist.

 

Die Zuneigung spricht vom persönlichen Ich und seiner ewigen Beziehung. Durch die in einer Einleitung gewählte Zeitform des Präsens werden die in ihr beschriebenen Beziehungen der Zeit selbst enthoben und zur Allgegenwart. Nicht mehr die einzelne Beziehung sondern das Prinzip der Beziehung wird hier beschrieben. Die Zueignung spricht so von einem Urtyp, der Beziehung an sich. Dabei wird keineswegs ihre Verbindlichkeit aufgehoben sondern durch die verwendete Ich-Form sogar ins Extrem gesteigert. Was hier als ein Erstes vorgestellt wird, ist im vollumfänglichen Sinn des Wortes das Ursprüngliche, eben die Beziehung 1—2. Die Metapher der „ersten Liebe und Freundschaft“ lässt nachempfinden, was von Anfang an da war und ewiglich nachhallt. Aus ihm treten zunächst ungreifbar, dann aber nach nun nach greifbar werdende Gestalten hervor, welche am Ende eines Weges zu konkreten Wirklichkeiten werden. Der Weg des Werdens liegt zwischen zwei Dingen, zwischen Anfang und Ende. Ihre Beziehung prägt das Leben. Der erste und der letzte Satz der Zuneigung umspannen es:

 

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.            (erster Satz)

                                … … …

Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,

Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten. (letzter Satz)

 

Die 4 Strophen des Gedichtes bestehen aus je 8 (23) Zeilen. Die Polarität (2) des Lebens erlöst sich fruchtbar (3) in einer wundervollen Verbindung von Gegensätzen, welche sich in der vielfachen und vielfältigen Vierheit äußern.

 

Die insgesamt 32 (=25) Zeilen eröffnen nicht nur die Problematik des Faust-Stoffes, sie fassen es gleichsam als dessen Ernte zusammen. Der Mensch, das Subjekt, das Ich und Bewusstsein (5) ist ein polares Wesen (2), das Anteil an zwei Welten hat, an der Welt des Geistes (3) und an der konkreten, materiellen Welt (4), die es in sich zu einem Ganzen vereinigen muss. Es gelingt ihm durch die rechte Interpretation der Ur-Spannung 1—2. Symbolisch wird das Bewusstsein der „Reiter der Polarität“, mathematisch handelt es sich um die fünfte Potenz der Polarität (25). Geometrisch lässt sich diese höchste Spannung in der Welt an der Spannung und Vereinigung der beiden höchsten platonischen Körper ablesen, dem Dodekaeder und dem Ikosaeder. Die von der Fünfzahl, dem Bewusstsein geprägten beiden Körper sind zueinander dual. Vereinigt man sie zu einem Gebilde, so weist dies 32 Ecken (25 = 12 + 20) auf. Auf diesem höchsten, allseitig symmetrischen Gebilde der Körperwelt baut das reife, die Ganzheit schauende Bewusstsein auf. Seine Entwicklung wird in der Thora über fünf Bücher hinweg beschrieben und mündet in der Weisheit des Moses. Der allerletzte, zusammenfassende Satz des 5. Buches besteht aus genau 32 hebräischen Wörtern.[ii]

 

Die 32 Abschlusswörter fassen noch einmal das Wesentliche in einem Logarithmus zusammen, der sogar mathematischen Anforderungen genügt. Die Basis des Buches „Buches der Zweiheit, des Zwistes und des Zweifelns“ ist die Polarität, der Widerspruch (2), d.h. die Basis des gesuchten Logarithmus zur Zahl 32 ist die 2. Der gesuchte Logarithmus ist das göttliche Subjekt, die Zahl 5. Die 32 Abschlusswörter im 2. Buch Mose präsentieren sich dem Mathematiker in der Formel log2 32 = 5.

 

Der letzte, zusammenfassende Satz des 5. Buches der Thora wirkt besonders lang, so wie die Zahl ihrer Ausführungen und auch der Entwicklungsweg des Faust sehr lang wirken. Und doch lässt sich die Quintessenz auf einige wenige Zahlen zusammenschmelzen, am Ende sogar auf die Beziehung der ersten beiden Zahlen, auf die Einheit (1) und Gespaltenheit (2), Gott (1) und Mephisto (2) oder Gott (1) und den Menschen (5). Die Zahl 32 fasst noch einmal alles verborgen zusammen. Ob Goethe die Thora und das Geheimnis ihres letzten Satzes so genau kannte, bleibt ungewiss. Vielleicht aber kannte er den Umstand, dass der Schmelzpunkt des Wassers 32 Grad Fahrenheit beträgt. An diesem Punkt schmilzt das harte und spröde Eis zu dem fruchtbaren, immer wieder Leben hervorbringenden Wasser, das es seiner Natur nach ist.

 

 

(2) Das »Vorspiel« greift die gleiche Urbeziehung über die in ihm hinterfragte Aufgabe des Theaters auf. Damit steht es bei gleichem Grundthema im Gegensatz zur vorangehenden Zueignung, die keineswegs das Öffentliche sondern das Persönliche und Innere anspricht. Das Vorspiel bedient sich ihres Gegenpoles, dem Gemeinen, Äußeren und Öffentlichen des Theaters. Den formalen Vordergrund bildet hier nicht eine Vierheit von Strophen sondern eine Dreiheit von Personen,

 

(1) dem Direktor des Theaters,

(2) dem Theaterdichter

(3) und den Schauspielern (lustige Personen).

 

Ihre Dialoge zeigen die Spannung zwischen den unterschiedlichen Absichten der Mitwirkenden auf. Während für den Dichter das Ziel des Theaters in seinem geistigen Ideal Wert liegt, sehen die lustigen Personen alias die Schauspieler den Gewinn vor allem in ihrem Spaß an der Aufführung. Der Direktor (Di-Rektor) bringt in der von beiden Seiten kunstvoll ausgeführten Tat des Spiels beide Interessen zusammen. Indem das Haus ausverkauft ist, entsteht ein Wunder, das nicht nur einen maximalen wirtschaftlichen Gewinn zeitigt, sondern bei jedem der Zuschauer trotz ihrer unterschiedlichen Interessen Begeisterung hervorruft.

 

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

 

Am Ende werden Geist (3) und Materie (4) in der Kunst (5) vereint.[iii] Das Vorspiel resümiert:

 

„Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt der Hölle.“

 

 

(3)  Der »Prolog im Himmel«  ist die letzte und unmittelbare Einleitung zum Werk. Er zielt durch seine Protagonisten, Gott und den Teufel (Mephistopheles) noch offensichtlicher als die beiden vorangehenden auf eine Beziehung, die als die Urbeziehung aller Beziehungen gilt.

 

Der Prolog spielt im Himmel und stellt eine Fünfheit von Wesen vor. Er wird zunächst von den drei Erzengeln Raphael, Gabriel und Michael eingeleitet, welche die Ganzheit der Schöpfung preisen. Sie machen zweierlei. Sie begründen das Prinzip der göttlichen Triade unter deren Prinzip alle zukünftigen Dialoge und Handlungen zu deuten sind. Sie begründen durch sie aber auch das ungleiche Verhältnis von Gott und seinem Diener Mephistopheles. Die beiden Widersacher gehören zusammen wie die Zahlen 1 und 2. Der Grund für die eindeutige Hierarchie wird auch geliefert, denn ihr Verhältnis wird nur von Gott, nicht jedoch von Mephistopheles ausschließlich positiv gesehen. Gott ist der unbezweifelbare Chef. Mephisto steht ihm aber so nahe wie kein anderer. Sie duzen sich sogar. Sie brauchen einander. Bei aller Spannung nimmt Gott trotz des ewigen Zweifelns des Mephisto das Ergebnis aller Prozesse vorweg:

 

„Wenn er (Dr. Faust) mir auch nur verworren dient,

So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Das Blüt und Frucht die künft’gen Jahre zieren.“

 

Mephistopheles drängt als „Berufszweifler“, der er ist, aber seinem Herrn dennoch eine Wette um den Ausgang des menschlichen Dramas auf. Das ist der Auftakt zur eigentlichen, nicht enden wollenden Handlung in der konkreten irdischen Welt des Lebens in all ihrer Vielfalt und mit all ihren Widersprüchlichkeiten.

 

 

Fazit:

 

Die drei Einleitungen beschreiben die Urspannung allen Lebens, die erste denkbare Beziehung überhaupt, die Beziehung zwischen dem Archetyp 1 (Einheit) und dem Archetyp 2 (Gespaltenheit). Diese Beziehung 1—2  ist nur durch die sie verbindende Dreizahl befriedigend zu beschreiben, weshalb Goethe gleich drei Einleitungen wählte. Auf die Beschreibung und den Umgang mit der ersten Beziehung gründet jede Philosophie und Religion. Man kann sie mit der Problematik des Zweifels, der scheinbaren und verführerischen Linearität in der Welt oder der Theodizee-Frage gleichsetzen. Immer dreht es sich um das rechte Verständnis der Existenz der Qualität der Zweiheit.

 

Faust ringt um diese höchste Einsicht, in der ein reifes Bewusstsein (5) das Geistige (3) mit dem Erdhaften (4) auf rechte Weise miteinander verbinden kann. Die darin verborgene Zahlsymbolik ist bereits das Webmuster der drei Einleitungen. Die Zueignung trägt in ihren 4 Strophen den Charakter des erdhaft Zwingenden. Das Vorspiel des Theaters stellt der Vierzahl der Zuneigung das Geistige in Form dreier  Personen und Ansichten entgegen. Der Prolog im Himmel greift die Funktion der Triade  – hier als Engel, Gott und Mephisto – auf und entfaltet im göttlichen Herrn das Bewusstsein, das der Mensch Faust anstrebt und dessen Symbol die Fünfzahl ist. Hinter der einleitenden Symbolik von 3-4-5 steht ein Geheimnis, für das es ein geometrisches Gleichnis gibt, das pythagoreische Dreieck der Seitenlängen 3-4-5. Goethe spricht es nicht an, übersetzt es gleichwohl in seine Kunst.

 

Die Geometrie ist durch die unmittelbare Verbildlichung der Archetypen ein unvergleichliches Erkenntnisinstrument. Sie diente zu diesem Zwecke schon den Erbauern der ägyptischen Pyramiden und Platon bei der Entwicklung seiner Ideenlehre. Mit der schönen Literatur hat sie allerdings nur eine verborgene aber dauerhafte Liaison, denn die gebildete Allgemeinheit bedarf leichterer Zugänge zu den Archetypen. Das vollbringen der Mythos und die Poesie. Aber auch sie kommen ohne die Archetypen, die „erzählende Zahl“ nicht aus. Nur nennen sie diese immer scheinbar nebenbei und heben ihre erzählenden Qualitäten in den Vordergrund. Alle aber zielen endlich auf ein Verstehen der Urbeziehung.

 

Die erste, archetypische und zugleich letzte und höchste aller Beziehungen und Spannungen wird im religiösen Mythos immer wieder beschrieben. Das gilt auch für den christlichen Mythos und der Beziehung des Gottessohnes Jesus zu seinem Jünger Judas Iscariot, der durch seinen „Verrat“ das christliche Mysterium des Kreuzestodes möglich machte. (…  Ausführungen dazu in Judas.de)

[i] Unter der Elegie versteht man ein Klagegedicht. Es wirkt wie ein Paradox, denn es verbindet zwei extreme Gegenpole miteinander. Der immer durch einen Bruch (2) ausgelöste seelische Schmerz, das Wehen und Klagen stehen für den schlimmsten Zustand menschlichen Empfindens. Die Kunst und das Gedicht hingegen erwachsen immer aus der Schau einer Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit, dem erhabensten Zustand menschlichen Seins. Die Elegie erschafft das Wunderbare. Sie bindet zwei polare Seinsweisen zu einem gemeinsamen Ganzen zusammen, wie es die Zahl 11 und die Zahl 12 tun. In diesen zwei ersten Zahlen der neuen, höherdimensionalen Zahlenreihe der Zehnerzahlen können sie eine Einheit bilden, weil ihre Verbindung unter dem Gesetz der Hierarchie steht, in der jedes Einzelne seinen Patz ausfüllt.

 

Die Symbolik von Einheit in der Unterschiedenheit ist die der religiösen Hochfeste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Sie haben jeweils zwei Feiertage und adeln das Prinzip des Zweiten mit dem Rang des Göttlichen. Die herausgehobene Bezeichnung der „Elf“ und der „Zwölf“ anstatt der eigentlich regulären Bezeichnung „Einzehn“ und „Zweizehn“ holt das Prinzip der Zwei aus ihrer ausschließlich negativen Ecke von „Zweifel, Zwist und  Zwietracht“ heraus und stellt sie unter das Licht der Einheit im Sinne von „Zweisamkeit“.

 

In der Symmetriezahl 11 wird der Bruch relativiert und der Einheit unterstellt. Insofern ist sie das Ur-Muster der Schöpfung. Sie verbildlicht die Urbeziehung. Ihre göttliche Eigenschaft (Elf / Al / El) findet sich wieder in den Bezeichnungen der Engel als göttliche Wesen: Raphael, Gabriel und Michael etc. In den Bezeichnungen Eltern, Allah, Elan, elegant, elitär u.a. finden wir den Verweis auf das ewige, göttliche Urmuster der Schöpfung.

 

Die Zahl 12 baut als zweite in der Zehnerreihe auf die Qualität der 11 auf, zeigt durch den Austausch der zwei sichtbaren Einsen durch eine ebenbürtige 2 deutlicher die Unterschiede und betont dabei aber zugleich durch ihre besondere Eigenschaft vor allem auch die Ganzheit und Vollkommenheit. In den biblischen Texten wird sie deshalb zum Symbol der Einheit eines geteilten, größeren Ganzen.

 

[ii] Die 32 Abschlussworte des 5. Buch Mose (Deuteronomium):

Und es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose den JHWH gekannt hätte von Angesicht zu Angesicht, mit all den Zeichen und Wundern, mit denen JHWH ihn gesandt hatte, <sie> im Land Ägypten, am Pharao und an all seinen Knechten und an seinem ganzen Land zu tun, und mit all der starken Macht und mit all dem Großen und Furchtbaren, das Mose vor den Augen von ganz Israel getan hat.“ (Dtn 34, 10-12)

, das

[iii] In der Symbolik verbirgt sich die Weisheit des pythagoreischen Dreiecks der Seitenlängen 3, 4 und 5, alias Geist, Materie und Subjekt.