Eine Sammlung zum Thema Zahlen von Dr. Michael Stelzner

Der Idealismus

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Der philosophische Begriff des Idealismus wurde im 18. Jahrhundert gebildet. Zu seinen Vertretern gehören E. Kant, J. G. Fichte, F. W. J. Schelling, G. W. F. Hegel, D. F. Strauß, A. Schopenhauer, G. W. Leibnitz u.a. Dem Idealismus nach ist der Geist die grundlegende Wirklichkeit, aus der heraus das Konkrete und Materielle hervorgeht. Die umgekehrte Auffassung vertritt der Materialismus, der die Materie zur Grundlage aller Wirklichkeit erklärt.

 

Zunächst entwickelte Kant den kritischen Idealismus. Ihm zufolge gibt es jenseits der realen Existenz zwar unabhängige Dinge, doch entziehen sie sich unserer unmittelbaren Erkenntnis. Kant nennt jenes Unerkennbare das „Ding an sich“. Damit verneint er eine erkennbare ideelle Ordnung im Sinne einer Ontologie, wie sie Platon mit seiner Ideenlehre beschreibt.

 

Der Kant’schen These folgten die unterschiedlichen Formen des Idealismus. Sie führten notwendigerweise zu der Gegenbewegung des Materialismus, aus dem sodann die Naturwissenschaften hervorgingen.

 

Aus dem kritischen Idealismus Kants entstand der breitgefächerte deutsche Idealismus. Seine radikalste und wohl auch am schwersten zugängliche Form wurde von Fichte entwickelt. Fichte führt jegliche Existenz gänzlich auf das Bewusstsein zurück. Danach entstehen ausschließlich aus ihm alle Realitäten der Außenwelt. Im Sinne der platonischen Prinzipienlehre würde danach die Ordnung des Seins erst bei der Zahl 5 beginnen, welche das Subjekt und sein Bewusstsein symbolisiert.

 

Der Begriff des Idealismus wird häufig vorschnell und verkürzend auf die Ideenlehre Platons zurückgeführt. Tatsächlich war Platon in Bezug auf den späteren Idealismus ein ausgesprochener Realist, denn er bezog alle Ideen auf die letzten denkbaren Realitäten – die Zahlen. 

 

Der Idealismus übernimmt zunächst die platonische Idee der Existenz eines jenseitigen Geistigen, nicht jedoch deren erkennbare Ordnung. Der Idealismus besitzt keine Ontologie. Das Fehlen solcher Ordnung und Ontologie macht ihn verwundbar. Der Idealismus ist spekulativ. Das ist seine Wunde. Ihm fehlte etwas Entscheidendes, nämlich der Bezug zum Konkreten. Der Idealismus zerfiel nach seiner wirkmächtigen Blüte auffällig schnell nach seinem Entstehen. Das aufkommende, naturwissenschaftliche Weltbild ging über ihn hinweg. Der Grund war seine Spekulation. Das Spekulative des Idealismus ließ sich in den Naturwissenschaften nicht wiederfinden. Der Idealismus konnte keine Antworten auf die Fragen der Naturwissenschaftler geben, wo denn der sogenannte, sich „entäußernde, göttliche Geist“ im Konkreten sichtbar werde? Die idealistischen Philosophen hatten keine Antwort darauf, weil ihnen schlicht die konkrete Ontologie fehlte, die Platon noch hatte. Der Gedanke, die Ideale und Ideen auf die Zahlen zu beziehen, den Grundprinzipien der Ordnung war ihnen fremd. Die „reine Spekulation“ wurde von den aufkommenden und außerordentlich erfolgreichen Naturwissenschaften deshalb überrollt. Die Trennung zwischen Idealismus und Materialismus war radikal. Selbst Naturwissenschaftler wie Max Planck, welche den Beweis für die Quantelung der Natur und damit den Beweis für die Allgegenwart der Zahl erbrachten, erkannten nicht deren wahres Wesen.

 

Die rauschhafte Entwicklung brachte sogar eine Verwandlung des bis dahin ausschließlich positiv besetzten Begriffes der Spekulation mit sich. Galt die Spekulation im Idealismus noch als das höchste Vermögen, welches das Bewusstsein erreichen kann, so wurde sie nun, einschließlich des Begriffs des Idealismus als ganzen, abgewertet und vollends negativ besetzt. Die Abwertung war dem Unvermögen der Idealisten zu verdanken, eine Ontologie und eine ideale Ordnung beschreiben zu können. Der Idealismus war nicht in der Lage, die Verbindung des Bewusstseins mit der göttlichen Einheit, wie sie die Zahlenbeziehung 1—5 beschreibt, hinreichend zu verbildlichen und begreifbar zu machen.

 

Jede der aufkommenden idealistischen Philosophien stellte die Beziehung von Einheit und Bewusstsein auf ihre subjektive Weise dar, ohne ihre innere Struktur zu erfassen. Neben der überaus abstrakten, unbefriedigend bleibenden Beschreibung durch Fichte äußerte sich der Idealismus in der mächtigen Polarität von Optimismus und Pessimismus. Der Optimismus wurde beispielsweise von dem damals sehr populäre Philosoph David Friedrich Strauß vertreten. Ein extremer Vertreter des Pessimismus war Arthur Schopenhauer. Dass sowohl die Optimisten als auch die Pessimisten aus ihrer Sicht ein Erlösungsgefühl zogen, erscheint eigenartig. Kennt man jedoch die platonischen Zahlprinzipien und die in ihr auftauchende und so entscheidende Beziehung 1—5 (Einheit — Bewusstsein), dann erhält das Erlösungsgefühl in Bild. Der Bezug des Subjekts (5) zur Einheit ist ihrer Natur nach immer eine Art der Rückverbindung (religio) zum Ursprung (1), welche das Subjekt in die Nähe von Ruhe und Glück führt. Dass die Einheit (1) sich in der polar erscheinenden Welt notwendigerweise in zwei Extremen, dem Nichts (0) und dem Unendlichen (∞, Fülle) äußert, bringt den Optimisten und den Pessimisten hervor (s. Aufsatz 11, 0, ∞.docx). Beide Sichtweisen für sich allein sind dennoch unvollkommen. Während das Erlösungspotential des Optimismus einleuchtet, erfordert der Erlösungsgedanke im Pessimismus mehr. Seine Bedingung ist seine offensichtliche Aussöhnung mit dem denkbar schärfsten Feind, dem Tod. Die „Erlösung durch Tod“ erleben wir als Realität und sie ist Gegenstand großer literarischer Werke (s. den Roman „Die Buddenbrocks“, in dem der Zerfall einer Familie dargestellt wird und der letzte Buddenbrock Thomas B. auf dem Sterbebett ein Glücksgefühl äußert.). Ihr liegt wie endlich allen großen Fragen der Philosophie die Einsicht in die unauflösliche Verbindung von Einheit (1) und Zweiheit (2) zugrunde, wie sie der Name und die Figur des biblischen Abram verbildlicht.

 

Die den Idealismus ablösende naturwissenschaftliche Sicht basiert wie schon der Idealismus auf Trennung. Sie erhebt sie als letzte Größe und verweigert ebenso wie diese eine Ontologie. Erfolgstrunken fühlte sie dafür keinen Bedarf. Den Optimismus und Pessimismus folgte so der Positivismus der Naturwissenschaften. Auch er war in einem gewissen Sinn wieder, wie seine Vorgänger eine unbewusste Rückbindung an etwas Ewiges und Stabiles.