Eine Sammlung zum Thema Zahlen von Dr. Michael Stelzner

Die Speisung der 4000 und die Speisung der 5000

(Speisung 4000+5000.docx & Speisung 4+ 5000 OrigTxt)

Inhalt

 

1.0     Die geistige Nahrungsaufnahme und die unberechenbare Sieben

2.0     Die Speisen „Brot“ versus „Fische“

3.0     Zwei Speisungen und zweierlei Reste

4.0     Die mit der Sieben einbrechende Unberechenbarkeit und ihre Hilfe für das Bewusstsein

5.0     Die Ordnung und ihre Hierarchie

 

6.0     Die Speisungen der Volksmenge im Bild der Geometrie

   6.1  Die Speisung der Volksmenge und die Gleichnisse von Pyramide und goldenem Schnitt

   6.2  Die Speisung der Volksmenge vor dem Hintergrund des Gottesnamens JHWH

 

7.0     Das Evangelium des Johannes und die Speisung der 5000

   7.1  Das Wesen des Vierten

   7.2  Die Jünger Phillipus und Andreas, der Fünfte und der am Ersten ausgerichtete Zweite

   7.3  Weniger ist mehr

   7.4  Die Lagerung der Volksmenge

   7.5  Warum spricht Johannes von Gerstenbroten?

 

  1. Epilog

 

 

 

  1. Die geistige Nahrungsaufnahme und die unberechenbare Sieben

 

Um die Erzählung der Speisung der 5000 und der Speisung der 4000 deuten und gegeneinander abgrenzen zu können, muss Klarheit darüber bestehen, was das Prinzip der Nahrungsaufnahme in einer heiligen Schrift bedeutet und welche Prinzipien mit den in den Erzählungen erwähnten Broten und Fischen angesprochen sind.

Eine heilige Schrift bietet geistige Nahrung. Auch sie wiedererstellt wie jedes Stillen von Hunger eine Einheit somit Zufriedenheit. Im Falle des geistigen Hungers erreicht das gestörte Gleichgewicht die engen Grenzen der Substanz und erfasst auch das sogenannte Jenseitige. Zahlensymbolisch erfasst ein geistiger Hunger das Wesen der Sieben und das Prinzip des Unberechenbaren. Um dieses Unberechenbare und den Umgang mit ihm geht es bei den Erzählungen von den Speisungen von 5.000 bzw. 4.000.

 

Jedes Subjekt wird mit dem Wesen der Sieben und dem Unberechenbaren konfrontiert. Das gilt auch für Jesus und seine Apostel, die ungewollt der Volksmenge begegnen, der sie mit der Suche nach einem einsamen Ort eigentlich entgehen wollten. Der entscheidende Unterschied besteht allerdings im Grad des Bewusstseins der Empfänger und damit im subjektiven Empfinden der Ereignisse und der Reaktionen auf sie. Die Autoren der Texte haben die Unterschiede an den zwei Speisen „Brot und Fische“ und zudem im größeren Maßstab der zwei Speisungen von 5.000 und 4.000 illustriert.

 

 

2.0  Die Speisen „Brot“ versus „Fische“

 

Bei der Nahrungswahl geht es um die Unterscheidung von substanzieller und geistiger Nahrung. Ist die zugunsten der hochwertigen, geistigen Nahrung getroffen, geht es sodann um deren weitere Hierarchie. Brote und Fische symbolisieren zwei Bewusstseinsdimensionen. Obwohl jedes Stillen von Hunger seinem Prinzip nach immer ein Wiedererstellen von Einheit ist, steht hinter den Begriffen ein unterschiedliches Bewusstsein von Einheit. Der Fisch bildet mit seinem ihm umgebenden Medium eine natürliche und vollständige Einheit. Sie ist ihm nicht bewusst und doch fühlt er sich ihrer Existenz wegen „wohl, wie ein Fisch im Wasser“ und entwickelt eine enorme Bewegungsfreiheit und Geschwindigkeit. Der Fisch ist das Symbol der Einheit (1) in der Polarität (2).

 

Die Brote sind kein Natur- sondern ein Kunstprodukt. Ihre Existenz setzt ein höheres Bewusstsein voraus, bei dem das Zweimachen (2) des Korns und das Wiederzusammenfügen der Teile zu einem neuen Ganzen (1) von einem erhobenen Dritten alias Fünften[i] intellektuell geleistet werden muss. Was dem Korn und dem Fisch geschehen, das geschieht ihnen unbewusst. Das Hereinbrechen des Jenseitigen und Unvorhersehbaren ist ein Bestandteil der Existenz, den der Archetyp der Sieben erfasst. Er trifft alle Ebenen der Existenz, so auch die Apostel und Jesus. Auch sie werden mit einem „Rest“ konfrontiert. Auch ihnen begegnet anstatt der gesuchten Einsamkeit unberechenbar und unerwartet die Volksmenge. Sie aber haben das Potential, die Frage nach dem Warum zu beantworten. Sie können auf die Ansprache der Sieben adäquat antworten und zur Verantwortung kommen.

 

 

3.0  Zwei Speisungen und zweierlei Reste

 

Die Antwort auf die zunächst rätselhaft erscheinende Erzählung von der Speisung der 5.000 liegt im Erheben des Bewusstseins (5) und das bedarf der rechten Schau des Archetyps der Zwei. Das höchste Bewusstsein verkörpert Jesus. Nur er kann die verborgene Ordnung sichtbar machen. Die Quintessenz der Schau ist ein jedem Leben anhaftender, immerwährender „Rest“, illustriert an den 12 Körben, mit denen die restlichen Brocken eingesammelt werden. Die Zwölfzahl der Körbe verkörpert aber Ordnung. Die 12 macht die Ordnung als neue Ganzheit sichtbar.

 

Den Bericht über die Speisung der 5.000 findet man in allen vier Evangelien. Anders ist das beim Bericht über die Speisung der 4.000. Ihn finden wir nur in den ersten zwei Evangelien, bei (1) Matthäus und (2) Markus. Die beiden Evangelisten stehen für eine erste, grundsätzliche Polarität. Mit ihren zusätzlichen Erzählungen über die Speisung von 4000 berichten sie linearlogisch gesehen von „mehr“ als die ihnen nachfolgenden Evangelisten Lukas und Johannes. Die Unterscheidung zwischen den ersten zwei und den nächsten zwei Evangelisten, zwischen der ersten und der zweiten Hälfte ist keine zufällige, sondern eine systematische. Sie hebt das jeden Anfang einer Erkenntnis bildende Polaritätsprinzip hervor. Wir begegnen ihm erstmals bei den ersten zwei Worten der Genesis, dem „Berschit / bara … (2-200-1-300-10-400 / 2-200-1 …). Wie bei diesen zwei ersten, sich ähnelnden Wörter dem zweiten Wort eine Hälfte fehlt, so fehlt auch den zwei letzten Evangelisten eine Hälfte. Ihnen fehlt der Bericht über die Speisung der 4000. Das Zweite ist gerade ein Zweites, weil ihm etwas fehlt. Was fehlt macht anziehend und führt zu einer Entwicklung. Es führt zum Leben und Leben ist Ordnung (12).

 

Die nur von Matthäus und von Markus nachgestellten Berichte über die Speisung der 4.000 greifen auf das Gesetz der Substanz, das Gesetz der Vier zurück. Das zeigt die Zahl 4000 an. Matthäus und von Markus beziehen damit das zuvor beschriebene Gesetz der Fünf, das Gesetz der Subjekte auf seine eigentliche Herkunft. Schon in der Vier, der ersten Manifestation erscheint die Einheit in ihrer Vollkommenheit und ihrer heilmachende, d.h. heilenden Wirkung. Bewirkt wird sie dort von der verbindenden und verbindlichen und somit rechten Funktion der Drei. Sie ist die Bedingung für das Erscheinen der Vier. Die zwei Erzählungen von der Speisung der 4000 setzen das ins Bild, indem sie explizit die der Speisung vorausgegangenen „drei Tage“ betonen (Mt 15:32; Mk 8:2).

 

Die Rückkopplung durch Matthäus und Markus muss als ein Einschub verstanden werden, der den großen Gesamtkontext der vier Evangelisten nicht stört, sondern ergänzt. Der Einschub erfolgt unerwartet. Auch das ist Prinzip und hilft, das Wesen der Sieben, um das es hier geht, besser zu verstehen. Wie die Sieben durchbrechen Matthäus und Markus bewusst den Glauben an die Logik und Herrschaft von Linearitäten. Ordnung ist mehr als die gewohnte und erwartete, linearlogische Ordnung. Die bei der Speisung der 5.000 vorgestellte, umfassende und wahre Ordnung widerspricht nicht dem Wesen der Sieben, das immerfort mit dem unberechenbaren Schicksal konfrontiert. Das stellen Matthäus und Markus mit ihrem Einschub noch einmal klar.

 

Erst wenn der Mensch die Substanz in der er lebt, in ihrer Vollkommenheit und die in ihr fortlaufende Konfrontation mit dem Anderen und Unbekannten erkennt, kann er bewusst an diesem Entwicklungsprozess teilhaben. Um dieses Eingebettet-Sein im Ganzen, das unentwegt von der Dynamik der Sieben vermittelt wird, geht es den Evangelisten Matthäus und Markus in ihren Erzählungen von der Speisung der 4.000. Ihre Welt wird von der Sieben umgeben. Aus den zur Verfügung stehenden „sieben Broten und einigen kleinen oder wenigen Fischen“ bleibt wiederum eine Siebenzahl übrig. Der sogenannte Rest führt zur unaufhörlichen Fortentwicklung. Der Hintergrund der Erzählung von der Speisung der 5.000 als auch der der Speisung der 4.000 ist der gleiche: Das Erkennen, dass das Wesen der Zwei stets auf die Einheit ausgerichtet ist und umgekehrt.

 

Das Erkennen des wahren Wesens der Polarität löst die unangemessene Fixierung des Individuums (5) auf die Einheit und Zweiheit auf und ermöglicht ihm eine freiheitliche Gelassenheit. Das Wissen um die Speisung der 5000 lässt den Leser der Texte die von Matthäus und Markus nachgestellten Erzählungen von der Speisung der 4.000 unter dem Blickwinkel der Freiheit anstatt der Unfreiheit begreifen. Ohne die Vorinformation würden Missverständnisse drohen: Eine Sieben, welche die Substanz (4) verändert, die ihrerseits wieder eine Sieben zeitigt, führt zu einem fraktalen Muster. Ohne das voran vermittelte Wissen würde die Gefahr aufkommen, das Geschehen als eine ewige Gefangenschaft zu empfinden. Das Gegenteil aber ist der Fall, denn jedes noch so kleine Muster offenbart immer wieder Einheit und Ganzheit. Ohne die Vorinformation würden sich die Details der Speisungen der 4.000 nicht erschließen lassen. Mit den Informationen erschließt sich beispielsweise, weshalb Jesus das Volk auf der blanken Erde (Mt 15:35; Mk 8:6) anstatt wie bei der Speisung der 5000 auf verschiedenartigem, grünen Gras ( Mt 14,19; Mk 6:39; Joh 6:10) lagern lässt oder das Geschehen im Kontext mit einem Berg (Mt 15,29) anstatt mit einem Boot (Mt 14:13; Mk 6:32) geschildert wird.

 

 

4.0  Die mit der Sieben einbrechende Unberechenbarkeit und ihre Hilfe für das Bewusstsein

 

Wenn die Brote gegenüber den Fischen für ein höhere Speise-Bewusstsein stehen, nun aber die Sieben und ihre Unberechenbarkeit in Form von sieben Broten auftritt, erhalten das Nichtwissen und die unvermeidbare Unberechenbarkeit im Bewusstsein über die Ordnung einen nochmals höheren Rang. Die religiöse Zahlensprache fängt dieses Zusammenkommen von Gegensätzen in Hinblick auf das Bewusstsein wie folgt ein: Das Bewusstsein (5) konstituiert sich über die rechte Verbindung (rechter Winkel) von Geist (3) und Substanz (4) analog dem an anderer Stelle vorgestellten pythagoreischen Dreieck der Seitenlängen 3-4-5. Das geometrische Gleichnis erfasst die grundsätzliche Konstitution des Bewusstseins und seine Herkunft aus den Gesetzen der Polarität. Die Schau lässt schnell vergessen, dass mit der Polarität auch die Unberechenbarkeit einhergeht. Die erreicht in der Sieben das Bewusstsein erneut. Diesmal kann sie vom Bewusstsein ganzheitlich wahrgenommen werden, weil sie das Wechselspiel zwischen Substanz (4) und Geist (3) auf eine völlig andere Weise vermittelt. Diese neue und andere Weise versucht der hebräische Begriff für Fisch einzufangen. Die hebräische Bezeichnung für Fisch ist „Dag“. Seine zwei Buchstaben ergeben die Zahlenfolge 4-3 und somit die Wortsumme 7. Der hebräische Gelehrte sieht in ihr die Verbindung von den das Bewusstsein transportierenden Broten und der das Bewusstsein begleitenden Sieben. Die Verbindung erdet den Wissenden in einer letzten und höchsten Konsequenz. Alles was ihm scheinbar unvermittelt entgegentritt, ist nichts anderes als eine Hilfe. Am Ende aller Speise-Gleichnisse bleibt immer ein Rest, der Fülle garantiert. Mit ihm aber geht stets auch die Ambivalenz des Bewusstseins einher, die es herausfordert. Wird die Fülle von den Subjekten nicht wahrgenommen, fühlen sie sich einem vermeintlich ungerechten und willkürlichen Schicksal unterlegen und gedemütigt. Sie verlangen sodann, wie das der letzte Satz des Johannes in seiner Speiseerzählung berichtet, nach einem König, der ihre gewählte Unfreiheit verwaltet: „Da nun Jesus erkannte, dass sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein“ (Joh 6:15).

 

 

5.0  Die Ordnung und ihre Hierarchie

 

Ordnung bedarf der Hierarchie, so wie die Zwei der Eins folgt. Die Speisung der Volksmenge versucht in allen ihren Details diese Ordnung umfassend und alle Ebene durchdringend darzustellen. Der hier beschreibende Nachvollzug kann deshalb nur ein selektiver sein.

 

Bei den Speisungen der 4.000 fällt auf, dass der Hunger der Volksmenge primär Jesus anspricht und nicht die Jünger. Bei der Speisung der 5.000 waren es noch die Apostel, welche das Problem dann an Jesus herangetragen hatten. Sie hatten zuvor selbst keine Zeit gefunden, zu essen und erfüllen in der hierarchischen Trias Jesus, Apostel und Volksmenge analog dem Vorbild der drei Größen des goldenen Schnitts, dem Ganzen, Major und Minor die Aufgabe der Mittler zwischen dem Ganzen und Minor. Die Apostel nehmen als „Major“ verantwortungsbewusst den Hunger des Volkes wahr. Jesus hingegen erfüllt gegenüber den Aposteln seine direktive Aufgabe und sorgt für die Angemessenheit der notwendigen Speise. Dank seiner Anweisung wird die Speise keine eingekaufte, linearlogisch erworbene und nur substantielle sein. Das erscheint für die Welt der Substanzen, aus der heraus sich das Bewusstsein erhebt (4à5à5000), eine Zumutung zu sein. Der Text rechtfertigt sie mit der Bemerkung, dass es sich nur um Männer und nicht um Frauen und Kinder handelt. Ihr Ausschluss enthebt die anstehende Zumutung des Vorwurfes der Überforderung und beinhaltet keine Geringschätzung. Die wollen die nachgestellten Erzählungen über die Speisung der 4.000 vielmehr verhindern. Die Botschaft ist eine andere: Das Erheben des Bewusstseins geht unausweichlich mit der Differenzierung zwischen Geist und Substanz einher und die führt zu wechselnden Notwendigkeiten. Matthäus vermittelt die Botschaft in kurzen und klaren Worten Jesu: „ … es ist nicht notwendig! Gebt IHR ihnen zu essen!“ (Mt 14:16).

 

Markus wird deutlicher. Als zweiten Evangelisten geht es ihm in besonderer Weise um die Differenzierung, die hier vor allem eine von Wissenden gegenüber der unwissenden Volksmenge ist. Er führt sie am Gegenstand von 200 Denaren aus. Die Summe ist, gemessen an substantiellen Speisen, eine große Summe. Das allein lässt eine zusätzliche Spannung aufkommen, die sowohl einen substantiellen als auch einen geistigen Aspekt enthält. Die Lösung des Problems verbirgt sich im Zahlensymbol der 200. Es verlangt die Anerkennung der Zwei, d.h. die Unterscheidung anzuerkennen und es verlangt ihr zweifaches Erheben, das in der 200 sichtbar wird. Das Vorbild dieses Vorgehens findet sich im göttlichen Schöpfungsverb „bara“ / 2-200-1 (Gen 1:1), das durch das Erheben der Zwei zur 200 die ersehnte Einheit (1) erstellt. Im Falle der markinischen Erzählung der Speisung der 5.000 werden über die 200 Denare die Apostel von der mehrseitigen Spannung miterfasst. Vom Zweifel ergriffenen wenden sie sich an ihren Herrn und suchen nach Orientierung und fragen: „Sollen wir hingehen und für 200 Denare Brot kaufen und ihnen zu essen geben?“ (Mk 6:37).

 

Lukas, der dritte Evangelist wird noch deutlicher als Matthäus und Markus und hebt die Spannung auf eine neue Ebene der Unterscheidung: Lukas greift die Erzählungen von Matthäus und Markus nicht nur verbindend auf, sondern artikuliert vor allem die durch die Dreizahl deutlich werdende vertikale Unterscheidung zwischen der substantiellen und der geistige Ebene. Auf den Befehl Jesu „Gebt ihr ihnen zu essen!“ erwidern die Apostel scharf und doppelschneidend: „Wir haben nicht mehr als 5 Brote und 2 Fische – es sei denn, dass wir hingingen und für dieses ganze Volk Speise kauften“ (Lk 9:13). Die Differenz und Zumutung ergreift nun auch die Apostel direkt. Sie erfassen, dass der wahre Wert der 200, ein anderer und höherer und deswegen „für dieses ganze Volk“ nicht angemessen ist.

 

Lukas dem dritten Evangelisten geht es seinem Wesen nach um das Erheben über die Substanz. Bei ihm steht das Prinzip im Vordergrund, nicht das Ding. Selbst die Apostel bezeichnet er nur als „die 12“. Für ihn besteht kein Zweifel mehr daran, dass das Kaufen von Speisen unangemessen ist. Der Einwand „der 12“ ist nur ein rhetorischer, ein dem Wortsinn nach fragwürdiger Einwand. Jesus greift ihn in Erfüllung der 200 auf und lenkt die Gedanken der Apostel erwartungsgemäß auf eine geistige Lösung und Einheit. Die besteht aus den hierarchisch voneinander zu unterscheidenden „Broten“ und „Fischen“. Auch ihre Verteilung an die 5.000 geschieht nicht zufällig, sondern folgt einer Hierarchie. Das Ergebnis, die „Quintessenz“ ist ein „Rest“. Der aber besteht aus der 12, der Zahl der sichtbaren Ordnung.

 

 

6.0  Die Speisungen der Volksmenge im Bild der Geometrie

 

Die Erzählungen über die Speisungen der Volksmenge beschreiben primär die Speisung von 5.000. Die Speisung der 4.000 ist lediglich ein Einschub, welcher das Wesen der Speisung aus der mehr substantiellen Perspektive beleuchtet. Die Erzählungen über die Speisungen der 5.000 erfolgen aus der Perspektive der Fünfzahl und damit aus der Perspektive des Bewusstseins, das durch Erhöhung und Dimensionszugewinne seiner Vervollkommnung zustrebt. Der bildliche Erzählrahmen ist die Entwicklung der 5 zur 5000. Das Geschehen lässt sich seinem Inhalt nach über zwei Strukturen erfassen. Die eine ist die der geometrischen Gleichnisse der Pyramide und des goldenen Schnitts. Die andere Methode ist die über die Zahlen- und Buchstabensymbolik des Alten Testaments und deren geheimen Gottes-Namen JHWH.

 

 

6.1  Die Speisung der Volksmenge und die Gleichnisse von Pyramide und goldenem Schnitt

 

Der große Erzählrahmen ist die Speisung einer Volksmenge durch Wissende, die Jesus und seine Apostel sind. Zahlensymbolisch ist das die Gegenüberstellung von Vierzahl und Fünfzahl. Die Vier wird durch die vielfältige, unbewusste Substanz, hier die Volksmenge dargestellt. Die sich aus der Vier erhebende Fünf sind Jesus und seine Jünger. Das geometrische Gleichnis für ihr Verhältnis ist das der Pyramide, bei der sich der fünfte Punkt, die Pyramidenspitze über die Ebene erhebt und das Bewusstsein der Ebene das der Spitze nicht zu erfassen vermag. Aus der Perspektive der Erhobenen ergibt sich jedoch ein mehrschichtiges Bild, bei dem jeder Schicht der Pyramide ein ihr entsprechendes Bewusstsein zukommt. Der Erhobene denkt nicht mehr allein in Polaritäten, sondern schaut auf triadische Weise auf die Dinge und auf die differenzierten Ebenen des Bewusstseins. Mit anderen Worten: Der Wissende sieht in der Hierarchie vor allem ein aus ihr erwachsendes und ihn ansprechendes Drittes im Sinne einer Funktions- und Handlungsnotwendigkeit.

 

Das Bild der Triade lebt von drei Größen, welche zu einer Drei-Einheit zusammenfließen. Die drei Größen alias Subjekte sind (1) die Volksmenge, (2) die Apostel und (3) Jesus. Sie bilden analog der Pyramide eine Hierarchie. Soll eine bewusste Speisung von oben nach unten stattfinden, müssen die Beteiligten entsprechend ihrer Stellung die Gesetze der Hierarchie und deren Wirkung kennen. Nur so kommt es zu einer Bewusstseinsförderung im Sinne des Ganzen. Wie sich noch zeigen wird, basieren die Gesetze auf den Gesetzen des goldenen Schnitts.

 

Dass es sich beim Bericht über die 5.000 um das Verhalten von Erhobenen handelt, macht der Text sehr deutlich. Der von Jesus und den Aposteln gesuchte öde und einsame Ort, an dem sie „allein“ (Mk 6:31) sein wollten, ist ein abgesonderter Ort jenseits der Masse – ein von der Masse erhobener Ort. Die Verwendung der Bezeichnung Apostel für die anwesenden Jünger Jesu unterstreicht ihr erhabenes Sein, denn ein Apostel zu sein, bedeutet ein „Bezeugender“ zu sein. Der Begriff des Zeugens und Bezeugens illustriert die Wirkung der Drei, die der Archetyp des Erhebens ist. In ihrem Erheben verbindet die Drei scheinbar unvereinbare Gegensätze miteinander. Jene Qualität macht das Wesen von Jesus und seinen Jüngern aus. Aus der Zahlenperspektive handelt es sich um das Prinzip des goldenen Schnitts, denn sein Wesen besteht darin, Größen miteinander zu verbinden, welche linearlogisch nicht miteinander verbunden werden können. Der Goldene Schnitt illustriert Ordnung. Das Zahlensymbol für Ordnung ist die 12. Die Zahlen aus denen der goldene Schnitt entsteht und besteht, sind 1 und 2, deren Verhältnis und Einheit wie in der 12, sowie die Größe des Bewusstseins, die 5.[ii] Im weitesten Sinn erzählen die Zahlen von der Parallelität und Einheit der Extreme. Um die geht es, wenn die Volksmenge zu dem Ort kommt, der von Jesus und seinen 12 Aposteln eigentlich als ein Ort des Geistes und des besonderen Bewusstseins gedacht war, der sie dann aber mit dem Gegenteiligen konfrontiert. Unstimmigkeit

 

Die unvorhergesehene Begegnung der geistigen Elite mit dem Volk drückt die für jedermann unvermeidbare Konfrontation mit der Sieben aus. Die Begegnung erweist sich nicht nur als unvorhersehbar und unvermeidlich, sie beinhaltet darüber hinaus auch noch einen „Geschwindigkeitsvorteil“ des erdbehafteten Volkes. Jesus und die 12 Apostel bedienen sich des Wasserweges, einer anspruchsvollen Bewegungsart. Das Volk läuft zu Fuß. Auf diesem Weg – auf substantiell festem Boden – ist es geübt und erwirbt gegenüber dem Fortbewegungsmilieu des Geistes einen scheinbaren Vorteil. Jeder Geistesarbeiter kennt solche Unstimmigkeiten, die aus unterschiedlichen Horizonten erwachsen. Doch wirkt das Volk aus der Perspektive von Jesus verloren, wie „Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mk 6:34; Mt 9:36).

 

 

6.2  Die Speisung der Volksmenge vor dem Hintergrund des Gottesnamens JHWH

 

Das die Entwicklung treibende Prinzip ist die Gottheit JHWH (10-5-6-5). Sie steht für die Formel 10 = 5 + 5.[iii] Ihr folgend erwächst aus zwei Bewusstseinssplittern (5) ein höheres Bewusstsein (10). Der Name JHWH ist weder willkürlich gewählt noch linearlogisch zu erfassen. Vielmehr bildet er das Wesen der Vier auf der Ebene das Bewusstsein ab. Wie aus den Entitäten Eins und Zwei einst die Vier entstanden ist, so entsteht aus den zwei nun aufeinandertreffenden Bewusstseinszuständen die Zehn. In beiden Fällen handelt es sich um Manifestationen. Sie ereignen sich aufgrund der Allgegenwart der Einheit. Doch erfassen wir sie formal erst über ein Erhaltungs- bzw. Additionsgesetz, das wir sowohl im Gesetz der Vier als auch in der JHWH-Formel erblicken. Dabei findet das höhere Bewusstsein sein Vorbild in der Formel der Vier. Der Zusammenhang der zwei Formeln und Dimensionen wird über die sogenannte Tetraktys (1+2+3+4 = 10) einsichtig. Sie macht zum einen deutlich, dass auch das Entstehen des Bewusstseins ein Manifestationsvorgang ist und sie zeigt zum anderen, dass die zwei Dimension des Daseins (Substanz und Bewusstsein) wiederum über das Wesen der Vier und ihre Formel eine manifeste Einheit bilden.

 

Ein entscheidendes Element der Bewusstseins-Formel ist das seine Mitte bildende und die Gegensätze verbindende Element, das „Plus“. In der hebräischen Zahl- und Bildsymbolik handelt es sich um die Zahl Sechs. Das ihr zugeordnete Sinnbild ein „Haken“. Ein solcher wirkt im Sinne der Einheit und Ganzheit. Er verbindet die Gegensätze, ob freiwillig oder durch höhere Anweisung.

 

Im Bild des angesprochenen goldenen Schnitts ist dieses Verbindungsglied zwischen den gegensätzlichen Größen Minor und dem Ganzen die Größe Major. Im biblischen Bild von der Speisung der Volksmenge kommt diese Funktion den Apostel zu, die zwischen Jesus und ihr ihren Platz haben. Sie erhalten von Jesus den Befehl, verbindend (6) und verbindlich zu handeln. Die Apostel setzen als Mittler das Prinzip der Sechs um. Sie empfangen das von Jesus gebrochene Brot, das er in „Hinblick auf den Himmel, d.h. im Sinne der Einheit „zweigemacht“ hat. Die Apostel geben die durch Teilung entstandenen Bewusstseinsbrocken weiter an die Volksmenge, die ebensolche (gegenteiligen) Bewusstseinsbrocken verkörpern. Die entstehende Einheit der Gegensätze befriedigt und befruchtet die Beteiligten.

 

Der Vorgang des Speisens ist körperlicher und geistiger Natur – analog dem Wesen der Sechs ( ), das zwei Dynamiken vereint ( Δ + ∇). Das Kulturgut Brot ist für die Analogie des Zusammenkommens von bewusst „Zweigemachten“ (2) und dem ihm vorausgehenden und schließlich wiedererstellten Ganzen (1) der geeignete Gegenstand. Die im Gleichnis ebenso vorkommenden Fische sind eher „wässriger Natur“ und lassen die zwei Dynamiken nicht so deutlich hervortreten, denn ein Fisch symbolisiert die naturgemäße Einheit des Subjekts mit dem ihm umgebenden Ganzen. Die Präsenz der Einheit wird deshalb nur von wenigen wahrgenommen. Wer sie aber wahrnimmt, der kann sie auch bewusst weitergeben. Bei Matthäus, dem Erstberichtenden ist das noch nicht geklärt. Der Verteilende der Fische wird nicht genannt. Bei Markus, dem Zweiten und besonders differenzierenden Evangelisten hingegen übergibt Jesus die Fische der Volksmenge selbst. Bei Lukas wiederum werden sie von den Jüngern – hier bewusst Apostel genannt – an die Volksmenge verteilt. Die Handhabung der Fische beschreibt der Texte sehr unterschiedlich, so wie auch das Prinzip der Einheit aus den verschiedenen Perspektiven sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Maßgebend ist hier der Blickwinkel des jeweiligen Evangelisten.[iv]

 

Das Vernehmen der Wirklichkeit im Sinne der wirkenden Umstände ist vom Grad des Bewusstseins des Wahrnehmenden abhängig, so wie von der Entfernung zwischen ihm und dem Wahrgenommenen. Das reflektieren die voneinander abweichenden Berichte über die Speisungen. So wird der Hunger der 5000 bei Matthäus und Markus von den Jüngern wahrgenommen, die als Major dem Minor alias der Volksmenge näher sind als das Ganze, das von Jesus verkörpert wird. Das ändert sich bei ihrem Bericht über die Speisung der 4000, welcher zur Erklärung der Beziehungen das grundsätzlichere Gesetz der Substanz (4) bemüht. Dort fällt Jesus selbst der Hunger der Volksmenge auf. Bei Lukas sind es „die 12“, welche die Speisung anstoßen und bei Johannes ist es wieder Jesus, der dann auch alle Speisen unmittelbar verteilt und darin die Muster der Speisung der 4000 und der 5000 vereinigt.[v]

 

 

7.0  Das Evangelium des Johannes und die Speisung der 5000

 

  7.1  Das Wesen des Vierten

 

Johannes ist der 4. Evangelist. Seine Erzählungen sind besonders anspruchsvoll, weil sie aus der Perspektive des Archetyps der Vier erzählt werden. Wie die Vier die scheinbaren Gegensätze Einheit (1) und Zweiheit (2) in einer neuen Ganzheit manifestiert (4), so vereinen auch die johanneischen Erzählungen die Erzählungen von Matthäus und Markus. Doch weisen die beiden ersten Evangelien nicht nur zueinander Differenzen auf. Der von den Autoren niedergelegte, lebenswichtige Widerspruch findet sich auch in jeden der beiden Evangelien selbst. So kennen die beiden Evangelien gleich zwei Speisungen, die Speisung der 5000 und die der 4000. Zudem wird die Speisung der 5000 vor der von 4000 genannt, was auch noch der linearlogischen Abfolge widerspricht. All die Widersprüche reflektiert Lukas, der Dritte der Evangelisten und erhebt sich über sie. Er abstrahiert das in ihnen enthaltene Konkrete und nimmt die Zweiheit in ihrer Vielschichtigkeit auf. Wenn beispielsweise Matthäus von den Jüngern und Markus sodann von den Aposteln spricht, abstrahiert Lukas sie zu „den 12“.

 

Der Vierte, Johannes manifestiert die Zweiheit in einer neuen Dimension als eine neue Einheit und Ganzheit. Seine Erzählung entlarvt die einstigen Widersprüche als lebensnotwendige und fruchtbare Hilfen. Obwohl Johannes, wie auch schon Lukas keine Speisung von 4000 kennt, schließt er die von ihr ins Bild gesetzten Qualitäten ein und manifestiert sie. Sie sind gewissermaßen in den ganzheitlichen „Brocken“ (Joh 6:13) enthalten. Auch bei den anderen Evangelisten bleiben Brocken übrig. Auch sie füllen 12 Körbe und symbolisieren mit dieser Zahl die vorhandene Ordnung. Doch ist die johanneische Ordnung ganzheitlicher zu verstehen. Die zuvor genannten „Reste“ verlieren mit der johanneischen Formulierung „damit nichts umkomme“ ihr Verloren-Sein. Mit anderen Worten: Die neu erkannte Ordnung ordnet auch dem zuvor Zwiespältigen einen Sinn zu. So nimmt Johannes beispielsweise die nur beim 2. Evangelisten, bei Markus vorkommenden und dort bereits im Zwielicht stehenden 200 Denare wieder auf. Bei Markus haben die Apostel noch verunsichert nach deren Funktion gefragt. Bei Johannes wird ihre vertikale Zwielichtigkeit offenbar. Jesus bringt sie erneut ins Spiel und setzt sie ein, um das Bewusstsein des Philippus zu testen. Philippus besteht den Test, weil er mit seinem Wesen den Archetyp der Fünf abbildet.

 

 

7.2  Die Jünger Phillipus und Andreas, der Fünfte und der am Ersten ausgerichtete Zweite

 

Als der Fünfte der Apostel verfügt Philippus über zwei Perspektiven. Die eine richtet sich auf die Welt in ihrem konkreten Dasein (4) und die andere auf die Einheit und Ganzheit (1), die sich nur über sein Bewusstsein erfassen lässt.[vi] Er weiß, dass die substanzielle Existenz in der er sich als konkretes (4) Subjekt (5) befindet, „nur“ eine Hilfe zur Offenbarung der Ganzheit ist. Für dieses größere Ganze ist er der „Steigbügelhalter“, was der Name Philippus bedeutet (siehe „Ordnung der Apostel“). Philippus besteht den Test, weil er sowohl Kenntnis über das Gesetz der Substanz, das Gesetz der Eins und Vier (s. 1 -> 4), als auch Kenntnis über das Gesetz der Subjekte, das Gesetz der Fünf und 10 (s. 10 = 5+5 bzw. goldener Schnitt) hat. Ihn spricht das Ganze in beiden Gesetzen an. In den zwei letzten „Formeln“ verbirgt sich die ganze Weisheit. Konkret wird das durch Andreas, dem zweiten Jünger Jesu. Der spricht ihn ganz konkret an und bringt darin die Lösung für den Zwiespalt vor ihn. Andreas ist der Bruder des Simon Petrus. Andreas ist für die Lösung qualifiziert, weil er der Bruder des ersten Apostels ist und in der benannten Bruderschaft die Verbindung und Einheit mit dem Ersten offensichtlich macht. Das Matthäusevangelium (Mt 10:2-4) nennt Andreas in dieser, seiner Beziehung als zweiten und das Markusevangelium (Mk 3:16-19) als vierten Apostel. Sowohl die Zwei im Allgemeinen als auch die Vier im Konkreten repräsentieren die Einheit und Ganzheit. Mit anderen Worten: Andreas steht für die Neubewertung des zweiten Archetyps, des scheinbar Kleinen und Geringen. Er ist es, welcher entdeckt, dass „ein kleiner Junge“ 5 Gerstenbrote und 2 Fische hat, welche sodann ausreichen werden, um 5000 Mann zu sättigen.

 

 

7.3  Weniger ist mehr

 

Der Fisch ist ein Symbol für die Einheit von Subjekt und dem ihn umgebenden Ganzen. Dieser verborgenen Symbolik wegen ordnen sie die Evangelien auch der immer wieder zwiespältigen Zweizahl zu und sprechen bei der Speisung der 5.000 von zwei Fischen. Im Kontext des zweiten und besonders differenzierenden Evangelisten Markus erwächst die Gefahr einer unzulässigen Verkürzung, in der die Botschaft der ganzheitlichen Zwei übersehen wird oder in Vergessenheit gerät. Damit diese Verbindung nicht abreißt, teilt Jesus die Fische dort selbst aus, obwohl die gebrochenen Brote auch hier von den Jüngern dem Volk vorgelegt werden.

 

Die an sich recht eindeutige Botschaft der Fische-Symbolik, erhält im Johannesevangelium eine zusätzliche Tiefe. Der 4. Evangelist vereinigt auch die tieferliegenden Differenzen, welche über das Prinzip der Reduktion auftreten. So berichten die Speisungen der 5.000 von jeweils zwei Fischen, die Speisung der 4.000 hingegen von „einigen wenigen, kleinen Fischen“. Die Abstufung ist offensichtlich und könnte als zunehmenden Geringschätzung verstanden werden. Dem tritt Johannes mit einem ganzheitlichen Blick auf den noch zwiespältigen Text seiner Vorgänger entgegen und verbindet die betroffenen Fische mit dem Prinzip der Fülle. Indem er sagt „… von den Fischen, soviel sie wollten“, enthebt er das Prinzip der Reduktion seiner Negativität. Reduktion ist notwendig und bringt das Dasein erst hervor. Umgekehrt enthebt er die Zwei ihres Alleinstellungsanspruches und erzeugt darin die Gemeinschaft von Einheit und Bruch, von Eins und Zwei. Der „Rest“ enthält beide, Eins und Zwei. „Eingesammelt“ (3) bilden sie „zusammen“ mit dem Symbol des Korbes (4) eine neue Ganzheit. Ihr Zahlensymbol ist die 12.

 

 

7.4  Die Lagerung der Volksmenge

 

Jesus steht für das höchste und die Volksmenge für das niedrigste Bewusstsein. Trotz ihrer Bewusstseinsunterschiede gibt es eine verbindende „geistige Speise“. Das ist das Gesetz der Vier, das Erhaltungsgesetz, das alle Erscheinungen als Manifestation der Einheit zu erkennen gibt. Jesus will dieses Grundgesetz dem Volk nahebringen. Dazu befiehlt er der Volksmenge sich auf dem Boden bzw. im Gras zu „lagern“. Mit dieser Handlung erdet Jesus die Volksmenge. Bei Matthäus und Markus befielt er ihr es unmittelbar. Bei Lukas und Johannes ergeht der Befehl an die Jünger, die ihn ausführen lassen. Das ist notwendig, weil die zwei Evangelisten über die einfache Polarität hinausgehen und deshalb eines Mittlers bedürfen.

 

Entsprechend des Fortschritts unterscheiden sich die sechs Beschreibungen der Lagerung zueinander. [vii] Bei den 4.000 lagert sich das Volk auf der Erde (Mt 15:35; Mk 8:6), bei den 5.000 hingegen auf dem Gras (Mt 14:19), dem grünen Gras (Mk 6:39) oder dem hohen Gras (Joh 6:10).

 

Bei Lukas fehlt die Beschreibung der Bodenbeschaffenheit, da sein Augenmerk gemäß des Wesens der Drei nach oben anstatt nach unten gerichtet ist. Die Aufgabe des Dritten ist es, die Qualitäten von Matthäus und Markus zusammenzuführen. Matthäus gibt keine Gruppen an. Markus hingegen nennt Gruppen von „100 und 50“ (Mk 6:40). Lukas muss das Nichts und das Mehr zu einem machen. Das gelingt ihm, indem er die Reduktion als Erhebung zeichnet. Lukas lässt in Gruppen zu 50 lagern und richtet darin das Augenmerk auf das Erheben des Bewusstseins (5) in eine neue Dimension (50). Konkret abstrahiert er die vom zweiten Evangelisten beschriebene Lagerung. In den Zahlen 100:50 erkennt Lukas das Verhältnis 1:2, um das es immer geht und das er nun in seiner vertikalen Dimension erfasst. Das alle Dimensionen umfassende Urverhältnis richtet die Zwei an der Eins aus, so wie schließlich auch das höhere Bewusstsein (50) an einem höheren Ganzen (100) ausgerichtet ist. Die Quintessenz der „Lagerung“ nimmt der Zwei ihren vermeintlichen Anspruch auf Singularität, dem eigens nur der Eins zukommt. Jene Botschaft ist es, die der Bericht des Johannes endlich als ein geschlossenes Ganzes und als eine Einheit erfasst. Johannes manifestiert den Begriff der Lagerung als etwas Substantielles und Greifbares und verwendet ihn wie schon der erste Evangelist Matthäus ohne eine Gruppenzahl zu nennen. Nun aber verbindet er ihn mit dem Begriff „Ort“, der die Eigenschaft einer konkreten Substanz signalisiert: „… Lasst die Leute sich lagern! (Es) war aber viel Gras an dem Ort.“(Joh 6:10). Kurzum: Die sechsfache Erzählung von der Speisung der Volksmenge mündet durch den vierten Evangelisten ein letztes Mal in der Beschreibung des Wesens der Vier. Indem Johannes auf den ersten Evangelisten, auf Matthäus zurückgreift, setzt er die Formel 1-4 ins Bild.

 

Johannes beendet seinen Bericht aber nicht mit der Formel, sondern zieht aus ihr die notwendige Konsequenz für das Bewusstsein des Menschen. Die besteht aus zwei Aspekten, einem äußeren und einem inneren. Der äußere Aspekt ist der der Speisung, in dem Wissende Unwissende speisen und erden. Der andere und innere Aspekt betrifft die Bewusstseinsentwicklung des Wissenden selbst. Das Gesetz der Vier formt das Gesetz der Subjekte (s. JHWH / 10-5-6-5), welches man als das Gesetz der Wahrhaftigkeit bezeichnen könnte. Es verlangt vom Wissenden, sich selbst bewusst dem Gesetz zu „unterwerfen“. Der letzte Satz der Speisungen berichtet davon, dass Jesus ihm gefolgt ist:

Da nun Jesus erkannte, dass sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.“(Joh 6:15).

 

 

7.5  Warum spricht Johannes von Gerstenbroten?

 

Während die ersten drei Evangelisten jeweils nur von Broten sprechen, spricht der vierte eigens von „Gerstenbroten“, die durch einen „kleinen Jungen“ zu den Hungernden gelangen. In der Einschränkung auf Gerstenbrote greift Johannes auf das Prinzip der Zwei, auf das Prinzip des Begrenzenden und Begrenzten zu. Dessen Existenz erst macht die Erscheinung (4) des Ganzen (1) möglich. Es ist das Kleine, der „kleine Junge“, welcher dafür Sorge trägt, dass alle satt werden. Die Botschaft ist: Das Fehlen (2) ist das Zeichen des Daseins (4 bzw. 5).

Zu diesem Dasein kommt es jedoch erst, wenn dieses scheinbar Reduzierte und Minderwertige in seinem wahren Wesen wahrgenommen wird und das besteht in seinem unwidersprochenen Bezug zur Ganzheit (1). Der Schlüssel ist der Schlüssel der Wahrhaftigkeit, der Schlüssel des Selbstbezuges. Erst wenn die Polarität (2) der Polarität (2) begegnet (2 x 2 = 4) erscheint (wieder) die Einheit. Im Falle der Brote hat die Zwei, d.h. das Zweimachen bereits einmal seine Fruchtbarkeit bewiesen, indem das zweigemachte Korn im Brot, dem Kulturgut erscheint. Wenn nun das einmal durch Zweimachen entstandene Kulturgut ein weiteres Mal dem befruchtenden Prinzip der Reduktion unterzogen wird, wird aus dem Brot ein Spezialbrot, das Gerstenbrot alias Kultur wird Einheit sichtbar machende Kultur. Im zweimaligen aufeinander einwirkende Prinzip des Zweimachens verbirgt sich das Gesetz der Vier (2 x 2 = 22 = 4  „=“ 1).

 

 

  1. Epilog

 

Diese Zwei, dieser „Bruch“ und diese Art „Rest“ machen satt, denn sie drückt Ordnung (12) und Fülle aus. Im Dasein fehlt der „zweiten Hälfte“ nur scheinbar etwas. In Wirklichkeit macht das Fehlende es vollkommener. Den Erzählungen von Lukas und Johannes fehlt die zweite Erzählung über die Speisung der 4.000 und doch sind gerade sie die vollkommenen Erzählungen. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Apostel, dem Andreas. Er ist (nur) der Bruder des Simon Petrus, des ersten Jüngers. Sein Name bedeutet „der Tapfere“. Tapfer ist, wer vollends bewusst seines Handicaps für sein Ziel einsteht. Er ist es, welcher die Urbeziehung aller Beziehung vorstellt. Andreas war einst der Jünger des Johannes des Täufers. Nun ist er der Apostel Jesu, der einst von Johannes getauft wurde.

 

Die recht verstandene Zwei gibt sich in der Vier zu erkennen, dem Symbol für die vollkommene Substanz. In den Erzählungen wird sie häufig mit dem Symbol des Bergs, der „erhobenen“ Substanz belegt. Dieses Symbols bedienen sich auch die Erzählungen über die Speisungen der Volksmenge. Die durchlebte und recht verstandene Substanz gipfelt im Christentum im Symbol des Kreuzes. Aber auch der Fisch ist sein Symbol. Beide Symbole vermitteln die Ganzheit. Der Fisch lässt seine Einheit mit dem ihn umgebenden größeren Ganzen unmittelbar erkennen. Das Kreuz hingegen erfordert intellektuelle Anstrengungen. Die christliche Legende berichtet über beide Symbolen von einer umfassenden und vollkommenen Funktion. Christus hat sie gelebt. Er hat bewusst selbst die Menschen einbezogen, welche ihn gekreuzigt haben.

 

[i] Das zwei Dimensionen umfassende Dreieck symbolisiert in seinem dritten Punkt das Prinzip des Erhebens. Aus ihm erwächst die Fähigkeit, die getrennten Teile als ein Ganzes zu überschauen. Analog symbolisiert die drei Dimensionen umfassende Pyramide in ihrem fünften Punkt das gleiche Prinzip des Erhebens. Aus ihm erwächst die Fähigkeit der Schau über das Ebene der Vier. Für den Menschen ist das die Schau des Ganzen.

 

[ii] Das Wirkprinzip des goldenen Schnitts lässt sich, wie die Skizze zeigt, auf vielfältige Weise erhellen. Immer aber drückt er die Beziehung zweier, grundsätzlicher Gegensätze aus, welche durch ein Drittes, Verbindendes „verbindlich“ geeint werden.

 

[iii] Die hebräischen Buchstaben sind zugleich Zahlen, deren Wesen jeweils über ein Bildsymbol dargestellt wird. Die 5 steht für das Bewusstsein eines Subjekts, die 6 für einen Haken, welcher Gegensätze verbindet und die 10 für eine aus einer niederen Dimension (1-9) erwachsene größere Dimension. Die Zehn ist der kleinste aller Buchstaben. Sein Bildsymbol ist die Hand. Sie ist zwar kaum wahrnehmbar, deutet aber ihre Eingreifen in die Welt der niederen Dimension an.

 

 

[iv] Die Brote werden immer von Jesus, dem höchsten Bewusstsein selbst gebrochen. Die Verteilung der Brote und der Fische hingegen werden wie folgt von den vier Evangelisten beschrieben:

 

1a/ Mt (5000): Jesus verteilt das Brot über die Jünger. Wer die Fische verteilt, bleibt unerwähnt.

1b/ Mt (4000): Jesus verteilt das Brot und die Fische über die Jünger.

2a/ Mk (5000): Jesus verteilt das Brot über die Jünger. Die Fische aber teilt er selbst aus!

2b/ Mk (4000): Jesus verteilt das Brot und die Fische über die Jünger.

3/   Lk (5000): Jesus bricht „sie, das Brot und die Fische (?) und gibt’s an die Jünger weiter.

4/  Joh (5000): Jesus BRICHT NICHT mehr und teilt alles, Brot und Fische selbst aus.

 

 

[v] Wer gibt den Anlass zur Speisung der 5000 und der 4.000?

1a/ Mt:                  Jünger geben den Anlass zur                           Speisung der 5000

1b/ Mt:  Jesus gibt den Anlass zur                  Speisung der 4000

2a/ Mk: Jünger geben den Anlass zur                            Speisung der 5000

2b/ Mk: Jesus gibt den Anlass zur                                  Speisung der 4000

 3  Lk:   „die 12“ geben den Anlass zur                         Speisung der 5000

 4  Joh:  Jesus gibt den Anlass zur                                  Speisung der 5000

 

[vi] Philippus ist der fünfte Apostel. Der Archetyp der Fünf ist der der Schau. Die Schau ist eine zweifache. Die eine richtet sich auf die Substanz (4 <<< 5), die andere geht über diese Welt hinaus und reflektiert das Spiegelverhältnis von Subjekt und Ganzheit (1 <<< 5).

 

[vii] „Speisen“ bedeutet, sich zu einem sicheren Urgrund „rück zu verbinden“, sich zu „erden“ oder sich zu „lagern“. Um die geistige Speise zu empfangen befiehlt Jesus die Lagerung der Volksmenge. Die Befehle ergehen bei Mt und Mk direkt an die Volksmenge, bei Lk und Joh laufen sie über die Jünger. Die nachstehende, wörtliche Übersetzung der Lagerungen zeigt zudem sehr unterschiedliche Text-Morphologien. Sie entsprechen jeweils dem numerischen Wesen der Evangelisten.

 

Jesus befiehlt unmittelbar der Volksmenge:

((1a)) Mt 14:19 „Und befohlen habend den Leuten, sich zu lagern auf dem Gras …“                            (5.000)

((2a)) Mk  6:39 „Und er befahl ihnen, sich lagern zu lassen alle Tischgemeinschaften,                       (5.000)

                Tischgemeinschaften auf dem grünen Gras. Und sie lagerten sich in Abteilungen,

Abteilungen  zu je 100 und je 50.

((1b)) Mt 15:35 „Und angewiesen habend die Volksmenge, sich niederzulassen auf der Erde …“     (4.000)

((2b)) Mk 8:6 „Und er gebietet der Volksmenge, sich niederzulassen auf der Erde …“                        (4.000)

 

Jesus befiehlt mittels Jünger der Volksmenge:

((3)) Lk 9:14 „ Er sagte aber zu seinen Jüngern: Lasst lagern sie in Gruppen  ungefähr zu je 50!“   (5.000)

((4)) Joh 6:10  „Jesus sagte: Lasst die Leute sich lagern! (Es) war aber viel Gras an dem Ort.“         (5.000)

 

ANHANG: Originaltext

Die Speisung der 5.000 und die Speisung der 4.000 in den vier Evangelien (rev. Elberfelder Übersetzung)